Liebe Gemeindeglieder,
zum Wochenbeginn grüße ich Sie herzlich aus dem sogenannten “Homeoffice”. Ich bin sehr dankbar für die Möglichkeit, meine tägliche Arbeit hier ohne größere Einschränkungen fortführen zu können. Derzeit sind noch Semesterferien, die auch unter “normalen” Bedingungen Raum für wissenschaftliche Betätigung oder, wenn man so will, Schreibtischarbeit lassen, bevor der Lehrbetrieb des Sommersemesters beginnt. Allerdings – da ich normalerweise ausschließlich im Büro arbeite, bin ich nach fast zwei Wochen Uni-Schließung immer noch dabei, mich an die neuen Umstände zu gewöhnen. Der tägliche Weg zur Arbeit, die Begegnung mit den Kollegen, der mittägliche Spaziergang zur Mensa – diese längst nicht mehr hinterfragten Selbstverständlichkeiten erscheinen plötzlich als Sehnsuchtsorte aus einer anderen Welt. Und sie machen nachdenklich: über die Nichtigkeit allen menschlichen Denkens und Planens, über die Risiken unserer globalisierten Welt, aber eben auch über die Bedeutung der kleinen Bausteine unseres Alltags, deren Wahrnehmung und Würdigung allzu schnell verblaßt in einem mit (oft selbstgewählten) Aufgaben und Terminen völlig überfrachteten Leben.
Werden mich diese langen Wochen ohne regelmäßige persönliche Kontakte, ohne Gottesdienstbesuch und Kulturveranstaltungen verändern? Werde ich die mit einem Mal vermißten Aktivitäten, die ich lange Zeit doch eher “konsumiert” und der Hektik des Alltags untergeordnet habe, künftig mit anderen Augen sehen? Werde ich dem erzählfreudigen Kollegen auf der Treppe bereitwilliger Zeit schenken, anstatt meinen Schreibtisch rufen zu hören? Kann ich mich geduldiger den Anliegen meiner Studierenden widmen, ohne stets ein Zeitbudget im Hinterkopf zu haben? Werde ich mich überhaupt mehr an der Gegenwart meiner Mitmenschen freuen und über das auch Anstrengende mancher Begegnung hinwegsehen können?
Ich weiß es nicht. Ich hoffe es aber. Erst durch die Distanz wird uns der Wert vieler Dinge bewußt. Erst das Nicht-haben-können oder -dürfen läßt uns vieles (wieder) begehrenswert erscheinen. Ich tröste mich einstweilen mit der Gemütlichkeit unseres Zuhauses – wozu richten wir uns eigentlich heimelig ein, wenn wir doch die meiste Zeit der Woche außer Haus verbringen? Ein wenig fühle ich mich wie der alte Hieronymus, der sich glücklicherweise auch noch rechtzeitig vor Toresschluß einen Internetzugang einrichten konnte, um an seinem Tablet Homeoffice zu betreiben. Ein paar Bücher, einige Ruhekissen, ein Kreuz für die Andacht – was braucht man mehr? Die Sonne lacht fröhlich ins Fenster, wie sie das die gesamte zurückliegende Woche auch bei mir getan hat. Auch der alte Bibelübersetzer wird sich wohl gleich auf den Weg nach draußen machen, um mit seinen beiden Haustieren an der Leine den Frühling zu begrüßen.
Tun wir es ihm nach und bleiben demütig und dankbar in allem, was unser Schöpfer auch in diesen schwierigen Tagen an kleinen (und manchmal auch größeren) Freuden für uns bereithält. Lernen wir die selbstverständlichen “Kleinigkeiten” unseres Alltags wieder neu entdecken und schätzen, um auch dann, wenn uns dereinst wieder alles Denkbare möglich zu werden scheint, nicht zu vergessen, woher uns alles kommt.
Peter Stein
Ralf Krieg
Schlagworte: Corona